Die seltsame Beziehung zwischen Wissenschaft, Medien und Politik
Analyse des Artikels "Wem können wir jetzt noch vertrauen?"
Als Wissenschaftler (theoretische Physik und Astrophysik) tut es mir oft im Herzen weh, was in den Medien aus wissenschaftlichen Erkenntnissen gemacht wird. Teilweise liegt das daran, dass sich jemand, der sich mit einem - oft sehr komplexen - Thema nicht auskennt, damit kritisch auseinander setzen muss. Manchmal habe ich jedoch den Eindruck, dass auch eine gehörige Portion teils unbeabsichtigte Desinformation mitspielt. Deshalb möchte ich diesen Eindruck anhand eines Artikel aus der großen, deutschen Wochenzeitung "Die Zeit" illustrieren, den ich hier für euch verlinke: https://www.zeit.de/wissen/gesundheit/2020-04/corona-krise-wissenschaft-forscher-meinung.
Eigentlich bin ich von
dem Artikel positiv überrascht – zumindest teilweise.
Wenn da nicht ein paar Kleinigkeiten wären…
Der Artikel versucht zu erklären, dass Forscher sich nicht uneins sind und dass es einen Konsens bei wissenschaftlichen Themen gibt, was sich auf den im Moment medial sehr stark repräsentierten Themenbereich des Coronavirus bezieht, aber auch für das Thema "Klimawandel" anwendbar ist. Da die Themen, an denen aktuell geforscht wird, es an sich haben, dass man nicht alles darüber weiß (warum sollte man sonst daran forschen?), liegt es in der Natur der Sache, dass es unterschiedliche Studien gibt, die unterschiedliche Ergebnisse liefern, je nachdem, welche Annahmen man zur Erstellung von Modellen, die die Wirklichkeit abbilden sollen, verwendet. Auch die Interpretation der Ergebnisse wird nicht immer die gleiche sein, geschweige denn die Schlüsse, die daraus zu ziehen sind. Daher kann es meines Erachtens nach keinen von der Politik oder den Medien herbeigeschriebenen und herbeigesehnten Konsens geben. Und auch keine Einigkeit.
Im Artikel wird ebenfalls versucht, Uneinigkeit als Gefahr darzustellen. Gefährlich ist jedoch eher, wenn medial oder politisch etwas als absolute Wahrheit dargestellt wird, obwohl es zu ein und demselben Thema viele verschiedene Studien mit unterschiedlichen Erkenntnissen gibt und Modelle, die nicht unbedingt die endgültige Wirklichkeit abbilden und noch nicht einmal völlig richtig sein müssen.
Der Artikel versucht zu erklären, dass Forscher sich nicht uneins sind und dass es einen Konsens bei wissenschaftlichen Themen gibt, was sich auf den im Moment medial sehr stark repräsentierten Themenbereich des Coronavirus bezieht, aber auch für das Thema "Klimawandel" anwendbar ist. Da die Themen, an denen aktuell geforscht wird, es an sich haben, dass man nicht alles darüber weiß (warum sollte man sonst daran forschen?), liegt es in der Natur der Sache, dass es unterschiedliche Studien gibt, die unterschiedliche Ergebnisse liefern, je nachdem, welche Annahmen man zur Erstellung von Modellen, die die Wirklichkeit abbilden sollen, verwendet. Auch die Interpretation der Ergebnisse wird nicht immer die gleiche sein, geschweige denn die Schlüsse, die daraus zu ziehen sind. Daher kann es meines Erachtens nach keinen von der Politik oder den Medien herbeigeschriebenen und herbeigesehnten Konsens geben. Und auch keine Einigkeit.
Im Artikel wird ebenfalls versucht, Uneinigkeit als Gefahr darzustellen. Gefährlich ist jedoch eher, wenn medial oder politisch etwas als absolute Wahrheit dargestellt wird, obwohl es zu ein und demselben Thema viele verschiedene Studien mit unterschiedlichen Erkenntnissen gibt und Modelle, die nicht unbedingt die endgültige Wirklichkeit abbilden und noch nicht einmal völlig richtig sein müssen.
Die Autoren versuchen ebenfalls zu erklären, dass Menschen, "die schon seit Jahren nicht mehr zu einem Thema publiziert haben", zumindest "tendenziell keine guten Ansprechpartner sind". Das ist zwar dank des Wortes "tendenziell" nicht pauschal hingeworfen, stimmt so aber trotzdem nicht. "In Talkshows überzeugend sprechende" Forscher mit langjähriger Publikationslücke werden als Experten zweiter Klasse bezeichnet. Was dabei außer Acht gelassen wird, ist die simple Tatsache, dass Quantität keinen kausalen Zusammenhang mit Qualität hat. Bestes Beispiel sind viele Medien, die bedingt durch das Internetzeitalter immer mehr und schneller veröffentlichen und dabei mehr auf die Zahl der Klicks als auf die Qualität achten. Meine generelle Empfehlung wäre, bei diesem Spiel nicht mitzumachen und nur mehr auf Qualität zu achten.
Ein richtiger Punkt in dem Artikel ist, dass die Verantwortung nicht nur bei Journalistinnen und Journalisten, sondern auch bei den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern liegt. Dieser Aspekt wird allerdings entkräftet, wenn im übernächsten Satz etwas von "falschen Experten" steht. Was soll das bedeuten? Ein Experte/eine Expertin ist ein Experte/eine Expertin. Kann es überhaupt falsche Experten geben? Wenn ein Experte falsch ist, dann ist er doch eigentlich kein Experte mehr. Es tut mir leid, aber die Wortwahl "falscher Experte" finde ich absurd. Um der angesprochenen Verantwortung gerecht zu werden, müssten in ein und demselben Artikel auch kontroverse Ansichten diskutiert werden, damit kein Bias entsteht. Als Journalistin/Journalist hat man die Verantwortung, möglichst viele Meinungen zu einem kontroversen Thema einzuholen und diese ausgewogen in einen Artikel einzubauen, unabhängig davon, ob man sie als vermeintliche Minderheitsmeinung oder als Mehrheitsmeinung einordnet. Man hat nicht etwas als Wahrheit hinzustellen, das nachweislich nicht ausreichend erforscht ist. Denn das ist die eigentliche Gefahr: etwas als feststehende Wahrheit zu verkaufen, obwohl es das nicht ist. Das nennt man gemeinhin Propaganda. In erster Linie sind Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verantwortlich dafür, qualitativ gute Forschung zu betreiben. In der Kommunikation mit dem Journalismus haben selbstverständlich beide Seiten darauf zu achten, dass keine Missverständnisse aufkommen. Dabei hilft auch eine ausführliche Recherche vonseiten der Journalistinnen und Journalisten, die allem Anschein nach (aus Zeitmangel?) nicht immer so ausführlich ist, wie sie sein sollte.
"Unsicherheit" wird als "Kerngeschäft der Wissenschaft" bezeichnet. Man möge mir den Unterschied zwischen Unsicherheit und Uneinigkeit erklären. Uneinigkeit ist also angeblich gefährlich, aber Unsicherheit ist normal. Wo liegt dann noch die Gefahr? Liegt sie nicht viel eher darin begründet, wie Medien und Politik mit dieser Unsicherheit umgehen? Natürlich ist es verständlich, dass "Unsicherheit" es für die Politik schwierig macht, Entscheidungen zu treffen. Doch eines ist klar: Panik ist selten ein guter Ratgeber, weder beim Thema Corona noch beim Thema Klimawandel, vor allem, wenn gewisse Dinge noch gar nicht gut genug erforscht sind. Es ist auch nicht zielführend, wenn Medien oder die Politik etwas als Wahrheit, als unumstößliche Fakten, als "alternativlos" bezeichnen. Genau dieser falsche Umgang mit Unsicherheit führt zu dem so oft beklagten Vertrauensverlust, der in der Bevölkerung zu beobachten ist. Diesen zu beweinen oder mittels haltloser Schuldzuweisungen, die keinem "Faktencheck" standhalten würden, zu bekämpfen, ist mitnichten der richtige Weg.
Generell bin ich froh, dass die Autoren des Artikels die Wissenschaft in Schutz nehmen und vieles durchaus richtig darlegen. Dabei beziehe ich mich vor allem auf die Aussagen, dass widersprüchliche Ergebnisse in der Forschung normal sind und dass "Theorien entworfen und verworfen werden". Aber warum wird das mit einem großen, zumindest scheinbaren Widerspruch zunichte gemacht? Und wenn die Situation für die Entscheidungsträger so schwierig ist, wieso reden sie dann trotzdem von "Alternativlosigkeit", verbreiten Panik und Angst und reden von "Fakten", anstatt ehrlich zuzugeben, dass es vielleicht andere ebensogut gangbare Wege gegeben hätte und dass man sich einfach für den Weg entschieden hat, den die Mehrheit der Bevölkerung als "richtig" akzeptiert hat, also den "populistischen" Weg?
Was ist nun der riesige Widerspruch, der mir in diesem Artikel aufgefallen ist? Die Autoren schreiben: "Dass sich alle Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einer Frage einig sind, ist eigentlich nie der Fall". Zuerst wird von einem Konsens geschrieben und Uneinigkeit als gefährlich dargestellt. Und plötzlich ist Uneinigkeit normal? Kurze Zeit später wird aus dem "eigentlich nie der Fall" ein "Und doch schält sich in vielen Fällen ein Konsens heraus". Daraus wird schließlich "Natürlich widersprechen sich Wissenschaftler oder Studien in Detailfragen trotzdem". Wie jetzt? Uneinigkeit ist gefährlich und es gibt sie eigentlich nicht, sie ist im Gegenteil ein Konsens, Uneinigkeit ist normal, aber Moment, es gibt in vielen Fällen doch einen Konsens, oder sind Widersprüche doch normal? Da schwirrt mir ein bisschen der Kopf, obwohl ich noch einmal betonen will, dass ich mit einigen Teilen des Artikels zufrieden bin. Und ich frage mich: passen hier das What und das So What so überhaupt nicht zusammen (siehe https://www.youtube.com/watch?v=u439pm8uYSk)?
P.S.: Dogmen sind etwas
brandgefährliches. Wenn medial oder von der Politik Dinge als
absolute dogmatische Wahrheit hingestellt werden, dann grenzt das an
eine Art Wissensdiktatur, in der es vermeintlich legitim ist,
anders denkende namhafte Forscherinnen und Forscher als „Leugner“
zu diffamieren. Wollen wir in so einer Gesellschaft leben? So
funktioniert Wissenschaft nicht. Wir haben Modelle, die die
Wirklichkeit abbilden, aber keine absolute Wahrheit darstellen. Wenn man die vermeintliche Minderheitsmeinung
als „Verschwörungstheorie“ oder ähnliches abtut, dann wird man
keinen Fortschritt erzielen, sondern in einen Wissens-Stillstand
schlittern. Wie oft kam es in der Geschichte nachweislich vor, dass
sich die vermeintliche, von den Herrschenden bekämpfte Minderheitsmeinung als näher an der Wahrheit
herausgestellt hat. Eine absolut feststehende Wahrheit gibt es
einfach nicht, außer vielleicht der, dass wir als Menschheit eigentlich noch relativ wenig wissen, vor allem wenn wir unseren Wissensstand in Relation zur Größe des Universums setzen.
P.P.S.: Die Wissenschaft besteht aus Theorien, für die mittels Forschung nach Bestätigung gesucht wird. Aber Theorien sind keine absolute Wahrheit. Das sollten Medien auch immer erwähnen, wenn sie über aktuelle Forschungsthemen berichten. Alles, an dem aktuell geforscht wird, ist noch nicht sicher; es basiert auf Modellen und Theorien. Das hat dieser Artikel erwähnt und sticht deshalb in dieser Hinsicht positiv aus den meisten Medienberichten heraus.
P.P.S.: Was den Medien und überhaupt uns allen bewusst sein muss: bei großen Forschungsgebieten, die medial sehr präsent sind, ist die Forschung nicht immer unabhängig. Da stehen viele politische und wirtschaftliche Interessen dahinter. Vielleicht sollte also nicht von "falschen Experten", sondern von "nicht unabhängigen Experten" geschrieben werden.
P.P.S.: Was den Medien und überhaupt uns allen bewusst sein muss: bei großen Forschungsgebieten, die medial sehr präsent sind, ist die Forschung nicht immer unabhängig. Da stehen viele politische und wirtschaftliche Interessen dahinter. Vielleicht sollte also nicht von "falschen Experten", sondern von "nicht unabhängigen Experten" geschrieben werden.
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