Irreführende mediale Darstellung des Zusammenhangs zwischen dem Glauben an Verschwörungstheorien und politischem Handeln
Ein wunderbares Beispiel für die kommunikative Problematik beim Darstellen wissenschaftlicher Studien in den Medien liefert eine Veröffentlichung von Pia Lamberty und David Leiser, die den Zusammenhang zwischen dem Glauben an Verschwörungstheorien und politischem Handeln untersucht.
Für die Freiheit der Wissenschaft
Ich möchte gleich vorweg betonen, dass ich überhaupt kein Wissenschaftsungläubiger bin, ganz im Gegenteil. Ich trete für einen offenen, wissenschaftlichen Diskurs ein, ohne unnötige Denkverbote, aber selbstverständlich mit gewissen Grenzen. Ich sehe die Hauptproblematik in der Art und Weise, wie wissenschaftliche Erkenntnisse medial vermittelt werden. Weglassen oder Verschweigen wichtiger Aspekte und bewusste oder unbewusste falsche Darstellung von Ergebnissen sind dabei prominente Beispiele. Natürlich gibt es viele wissenschaftliche Bereiche, die nicht so frei agieren, wie es wünschenswert wäre, aber abgesehen von der Tatsache, dass es "die Wissenschaft" nicht gibt, sondern viele unterschiedliche Disziplinen, gehe ich mit einem Grundvertrauen in "die Wissenschaft" an die Dinge heran. Zu meinen Wünschen in Bezug auf die Wissenschaft passt das vor Kurzem gegründete Netzwerk Wissenschaftsfreiheit, das sich denselben Zielen widmet, die auch mir am Herzen liegen.
Die für mich wichtigsten Aspekte der Studie
Ich werde hier nicht ins ultimativ tiefste Detail gehen, was vor allem daran liegt, dass mir die Zeit dafür fehlt, alle Inhalte der Studie 1:1 nachzuvollziehen. Falls mir dabei jemand aushelfen möchte, dann kontaktiert mich bitte und gebt gerne euren Senf zu meinen Einschätzungen dazu.
In dieser psychologischen Studie wird gleich in der Einleitung erwähnt, dass die Behauptung, es gäbe eine Steuerung der Migrationsströme durch den russischen Präsidenten, eine Verschwörungstheorie ist. Interessanterweise habe ich das so noch nie in den Leitmedien gelesen. Noch viel interessanter ist, dass nach dieser Logik der Autor des hier verlinkten Textes zumindest an verschwörungstheoretischem Gedankengut anstreift. Auch das habe ich so noch nirgends gelesen. Ich zitiere kurz aus dem erwähnten Text: "Putins aktuelles Ziel ist es, die Auflösung der EU zu beschleunigen, und der beste Weg dorthin ist, sie mit syrischen Flüchtlingen zu überfluten." Später steht dann zwar "Für die Annahme, er habe in Syrien interveniert, um die europäische Flüchtlingskrise zu verschärfen, gibt es keinen Grund.", aber dann folgt "Aber sobald Putin die Gelegenheit sah, die Auflösung der EU zu beschleunigen, nutzte er sie.". Als Gegenüberstellung zitiere ich aus der Studie: "Vladimir Putin is thought by some to be behind the “migrant crisis”, his goal supposedly believed to create chaos in Europe". Hier werden weitere große Namen zitiert, die dieser Verschwörungstheorie nicht abgeneigt sind, aber nie als Verschwörungsmystiker, -theoretiker oder -ideologen bezeichnet wurden.
Dieses Beispiel ist exemplarisch für meine private Hypothese, dass keiner von uns der Wissenschaft gegenüber feindlich eingestellt sein sollte, sondern den falschen, irreführenden, lückenhaften, faktenbefreiten Haltungsjournalismus aufs Schärfste verurteilen sollte. Wer sich von dieser Art des Journalismus nicht distanziert, läuft Gefahr, zu Entwicklungen in Richtung Autokratie oder Diktatur beizutragen und die Wissenschaft in ihrer Freiheit einzuengen.
Was ich hier beschreibe, lässt das Resultat der Studie in einem anderen Licht erscheinen, als viele Medien und Politiker es gerne sehen würden. Die Studie stellt fest, dass ein Hang zum Glauben an Verschwörungstheorien mit gewalttätigem und undemokratischem Verhalten in Zusammenhang steht. Bedenkt man nun, dass auch Sachverhalte, die in den Leitmedien nie als Verschwörungstheorie (oder gar Verschwörungsmythos) dargestellt werden, durchaus als Verschwörungstheorie zu bewerten sind - man denke nur an den Vorwurf, unsere Gesellschaft sei strukturell rassistisch -, dann machen die Studienergebnisse durchaus Sinn.
Ein weiterer wichtiger Aspekt, der medial oder politisch meist ausgespart wird, aber in der Wissenschaft sozusagen Standard ist, ist die Tatsache, dass die Studie keine abschließenden Antworten liefert. Das Forschungsfeld ist immer noch offen, nichts ist sicher. Es gibt Hinweise, die in eine bestimmte Richtung deuten, aber ob das am Ende wirklich zu 100 Prozent stimmt, muss noch herausgefunden werden. Eigentlich sollten diese Unsicherheiten von Studien in jedem Artikel, der über diese berichtet, prominent erwähnt werden. Jeder Politiker sollte seine Äußerungen dahingehend relativieren, anstatt den Satz "Wir folgen der Wissenschaft" als ein verqueres, abstruses, absurdes, geradezu verschwörungstheoretisches Propaganda-Instrument zu benutzen.
Ich möchte nicht auf die weiteren Details der Studie eingehen. Die kann jeder selbst nachlesen. Mir war nur wichtig, zwei essentielle Aspekte von vielen vorhandenen Aspekten hervorzuheben. Auch die Schwächen bei der Datensammlung möchte ich hier nicht betonen, das wurde in der Studie getan. Was für Fragen den Studienteilnehmern gestellt wurden, kann auch jeder selbst nachprüfen. Eines steht fest: absolut saubere Daten sehen anders aus. Auch die statistischen Aspekte behandle ich hier nicht. Falls jemand Zeit und Lust hat, einen ergänzenden Text mit Erklärungen weiterer wichtiger Aspekte der Studie zu schreiben, dann schickt ihn mir gerne als Ergänzung zu diesem Blog-Beitrag. Ein Urteil über die Methodik der Studie möchte ich auch nicht treffen, sondern im Gegenteil einfach nur ein Lob für die interessante Arbeit aussprechen und in diesem Sinne meine Wertschätzung ausdrücken.
Sind wir nicht alle Verschwörungstheoretiker?
Den Sachverhalt, dass diejenigen Teile der Leitmedien, die aufs Schärfste Verschwörungstheorien kritisieren, selbst ebenfalls Verschwörungstheorien verbreiten, die nur nicht offiziell so genannt werden, fasst dieser Artikel sehr gut zusammen.
Da im Grunde nahezu jeder Mensch irgendeiner sogenannten Verschwörungstheorie anhängt, ist die Aussagekraft der Studie etwas gemindert. Vielleicht hat gewalttätiges Verhalten einfach nur damit zu tun, dass jemand verrückt ist, unabhängig vom Glauben an die eine oder andere Verschwörungstheorie?
P.S.: Ich bin kein Psychologe, ich bin kein Politikwissenschafter, aber ich bin als Naturwissenschaftler zumindest jemand, dem bewusst ist, was wissenschaftliches Denken ausmacht. Dieser Text beinhaltet nur wenige von vielen Aspekten eines komplexen Sachverhalts. Ich bin dankbar für Hilfe und konstruktive Kritik, um die hier aufgestellte Basis zu erweitern.
P.P.S. im Sinne der Transparenz: Ich bin ein Ein-Mann-Blog und bemühe mich immer im Rahmen meiner
Möglichkeiten so sorgfältig wie möglich zu schreiben, Wissen und
Unwissen klar zu kennzeichnen. Natürlich passieren auch mir Fehler und
ich bin sehr dankbar für Austausch, konstruktive, sachliche Kritik und
Kooperation. Ich drücke mich vielleicht manchmal ungeschickt aus. Da
Sprache nicht so exakt ist wie beispielsweise Mathematik, liegt es in
der Natur der Sache, dass verschiedene Menschen meine Texte
unterschiedlich interpretieren werden. Die Sprache kann die Realität in all ihrer Komplexität und mit all ihren Fehlern nicht exakt abbilden, kann sie immer nur vereinfacht darstellen. Deshalb bin ich sehr dankbar für
eine argumentative, inhaltliche Auseinandersetzung mit dem, was ich
geschrieben habe, ohne persönliche Beleidigungen. Das hat
nichts damit zu tun, dass ich andere Meinungen nicht gelten lasse,
sondern nur damit, dass ich das für eine gute Form der Diskussionskultur
halte. Ruft mich an, schreibt mir eine Mail oder kontaktiert mich auf dem Kanal, der euch am liebsten ist. Übrigens sind nahezu alle meine Beiträge mit
dem Label „Meinung“ oder „Hypothese“ versehen, denn im Gegensatz zu
manchen Traumtänzern ist mir klar, dass man in vielen Fällen unmöglich glasklare Grenzen zwischen Fakten oder Meinungen, falsch oder richtig ziehen kann. Nicht alles ist Mathematik, wo 1+1=2 gilt. Nicht alles ist Physik, bei der wir die Richtigkeit vieler Theorien anhand empirischer Experimente beweisen können. Lassen wir einen Stift fallen, dann wird ihn die Gravitation unweigerlich zu Boden ziehen.
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