Pseudointellektuelles Plädoyer gegen die Empörungskultur
Jeder hat das Recht, sich zu empören, aber sollte sich immer gut überlegen, ob es wirklich Sinn macht. Wenn man sich jedoch empört, dann sollte nicht nur A gesagt werden, sondern auch B. Empörung ohne inhaltlichen Bezug und ohne Argumente, rein um des Abreagierens des eigenen Ärgers wegen, finde ich nicht zielführend im Sinne eines sachlichen, fairen, wertschätzenden Diskurses. Der Ärger ist für diejenigen Fälle besser aufgehoben, in denen nachweislich rundheraus gelogen oder mit böser Absicht etwas Falsches behauptet wird, die Menschenrechte mit Füßen getreten oder unschuldige Menschen öffentlich an den Pranger gestellt werden. In einer Gesellschaft, deren Anführer Entscheidungen mit "Wir folgen der Wissenschaft" verkaufen, ist Empörungskultur in guter Näherung widersinnig. Dass sich sowohl diejenigen, die diesen propagandistischen PR-Satz benutzen, als auch diejenigen, die diesen Satz ohne zu hinterfragen glauben, oft am lautesten empören, zeigt die Doppelmoral von Teilen der Gesellschaft, die sich in immer unlogischeren und widersprüchlicheren Argumentationsketten verstrickt.
Irren ist menschlich
Eine Zeitung veröffentlicht einen Artikel über ein kontroverses Thema
und Menschen schreiben wutentbrannte Texte an die Redaktion oder den
Verfasser des Textes. Ich schreibe einen gut gemeinten, harmlosen Text und jemand aus dem Freundeskreis empört sich darüber, weil er etwas in den falschen Hals bekommen hat. Jemand äußert eine vermeintlich falsche, dem gängigen Narrativ
widersprechende Ansicht und wird von einem rechthaberischen digitalen Mob mit
niveaulosen Zurechtweisungen überhäuft. Jemand äußert sich zu einem Thema und hat dabei einen Denkfehler eingebaut und eine digitale Meute fällt über ihn her, anstatt freundlich auf den Fehler hinzuweisen und – vor allem – den Fehler zu verzeihen. Irren ist menschlich. Ich irre mich auch immer wieder, manchmal sogar gerne, denn aus Fehlern lernt man.
Jeder kann von jedem etwas lernen
Apropos Fehler - auch ich habe mich schon vorschnell empört. Das kostet nur unnötig Kraft und Energie, die wir eigentlich für andere Dinge besser gebrauchen könnten. Wir alle können voneinander lernen. Wir alle wissen etwas, das andere nicht wissen. Wenn wir mit diesem Bewusstsein in Diskussionen gehen – dass das Gegenüber in den meisten Fällen ein Mensch ist, der sich primär einfach nur friedlich mit seinen Mitmenschen austauschen möchte -, dann wäre sicher einiges gewonnen. Das funktioniert im realen Leben meistens sehr gut. Nur digitale Diskussionen, egal auf welcher Plattform, arten öfter aus. Das muss nicht sein, wenn jeder sich an gewisse Grundprämissen hält - ich schreibe bewusst nicht von Regeln.
Eine davon ist: Sprache ist nicht exakt. Worte können missverstanden werden. Viele drücken sich schriftlich nicht immer geschickt aus. Viele Worte haben nicht nur eine einzige Bedeutung. Das führt dazu, dass oftmals 10 Menschen denselben Text auf 10 unterschiedliche Arten bewerten und interpretieren werden. Deshalb ist es wichtig, sich nicht gleich mit verbalem Schmutz zu bewerfen, sondern erst mal nachzufragen, wie etwas gemeint ist, bevor man sich unnötig empört. Denn jeder hat das Recht, sich zuerst zu erklären, bevor er vorverurteilt wird.
Zweitens: Menschen machen Fehler. Hinter jedem Fehler eine riesengroße Verschwörung zu wittern, ist nicht zielführend. Allerdings sollte man bei gehäuftem Auftreten von vermeintlichen Fehlern stutzig werden, insbesondere wenn eigentlich große Redaktionen hinter fehlerhaften Artikeln stehen.
Drittens: Beleidigt euch nicht. Wenn das Gegenüber guten Willens ist, wird es eure Argumente und eure Kritik viel eher annehmen, wenn sie sachlich und beleidigungsfrei kommuniziert werden. Nennt ihr eure Diskussionspartner Spinner oder unterstellt ihnen, sie würden Schwachsinn verbreiten, dann verhärten sich die Fronten. Bleibt freundlich und vor allem: meint es ernst mit der Freundlichkeit. Wenn ihr bemüht freundlich schreibt, aber in eurem tiefsten Inneren die Einstellung habt, dass der andere ein Vollidiot ist, dann spürt das Gegenüber das. Das ist der schwierige Teil: ihr solltet wirklich daran glauben, dass ihr von jedem anderen Menschen etwas lernen könnt. Das geht insofern ganz einfach, indem ihr euch bewusst macht, dass Zuschreibungen wie „Idiot“, „Spinner“, „dumm“ und so weiter und so fort nur eure persönliche Sichtweise sind, die nichts aber auch rein gar nichts mit der Realität zu tun haben müssen. Das ist eure persönliche Meinung. Die sei euch unbenommen, immerhin haben wir Meinungsfreiheit. Doch wie weit her ist es mit der Meinungsfreiheit, wenn schon die möglichst objektiv gesehen harmlosesten Äußerungen zu einem Sturm an Schimpftiraden und Empörung führen?
Wenn es zu spät ist und ihr schon eine beleidigende, abwertende Äußerung getätigt habt, dann macht das Gegenüber nicht noch mehr runter, wenn es sich gegen die Angriffe verteidigt. Verteidigung ist das gute Recht eines jeden Menschen, vor allem, wenn es sich um faktisch nicht haltbare Abwertungen und Beleidigungen handelt. Dreht dem Gegenüber keinen Strick aus seiner Verteidigung, indem ihr behauptet, es würde euch eure Meinung nicht lassen, nur weil es falsche Aussagen richtig stellen möchte. Lasst eine ernst gemeinte Entschuldigung hören, auch wenn es euch Überwindung kostet, weil ihr glaubt, im Recht zu sein. Zweifelt auch eure eigenen Vorurteile an und bemüht euch um Sachlichkeit und Freundlichkeit, nicht nur, aber vor allem in der schriftlichen Kommunikation, die von immens vielen Missverständnissen geprägt sein kann. Wer noch mehr gut gemeinte Ratschläge für eine gesittete Online-Kommunikation auf Lager hat, kann sie mir gerne zukommen lassen.
P.S.: Mit diesem Plädoyer kann man mir eventuell unterstellen, dass ich mich über die Empörungskultur empöre. Hiermit schließt sich der Kreis. Das zeigt, wie viele verschiedene Aspekte die vielen unterschiedlichen Themengebiete haben können. Und es zeigt auch ein Grundproblem des pseudointellektuelen Philosophierens: das Leben ist voller Widersprüche, die sich nicht immer aufklären lassen, ohne die unlogischsten Hirnverrenkungen zu vollführen. Es ist auch das gute Recht eines jeden Menschen, sich zu empören. Manchmal hilft leider nur überspitztes, hartes, empörtes Formulieren, nahe an einer Beleidigung, um Gehör zu finden. Trotzdem habe ich den frommen Wunsch, dass ein jeder lernt, sich nicht nur im realen Leben, sondern auch bei der Online-Kommunikation gesitteter und sachlicher zu verhalten.
Anmerkung: Ich bin kein Kommunikationsexperte. Ich schildere hier nur meine eigenen Beobachtungen und Erfahrungen. Allerdings schätze ich mich als einen sehr empathischen Menschen mit einem Talent zur Einschätzung der Gefühle anderer Menschen ein. All das hier sind nur wohlgemeinte Tipps, ohne Garantie für Richtigkeit. Weder ich noch sonst jemand hat die absolute Wahrheit für sich gepachtet. Selbstverständlich gibt es gewisse Situationen, in denen man die Freundlichkeit über Bord werfen und Klartext reden sollte. Nicht jeder hat ein Gefühl dafür, wann so ein Moment gekommen ist, aber jeder kann das lernen, auch als Laie.
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