Die Schmusepolizei
Zwei Freunde trafen sich an einem strahlend sonnigen Tag im größten Park ihrer Heimatstadt. Es war Frühling, die Sonnenstrahlen erwärmten von Tag zu Tag die Luft stärker. Bienen und Hummeln summten in dem ihnen eigenen Fleiß von Blüte zu Blüte. Nicht wenige Menschen tummelten sich im Park und genossen das schöne Wetter. Manche beobachteten die Enten in einem Teich, andere führten ihren Hund aus, wieder andere saßen in kleinen Gruppen beisammen und spielten Gitarre.
Der triste Aspekt an der scheinbaren Idylle war die Tatsache, dass die meisten Parkbesucher darauf bedacht waren, penibel eine sowohl politisch als auch wissenschaftlich schwach begründete Abstandspflicht einzuhalten. Vereinzelt trugen Menschen, die päpstlicher als der Papst waren, in bestimmten Bereichen verordnete Masken über Mund und Nase. Ein Scherzkeks hatte sich den Mund-Nasen-Schutz über die Augen gezogen, allerdings nicht ohne zuvor Löcher hineinzuschneiden, sodass er das filternde Gesichtsstück wie eine abartige Brille trug, die keinerlei optischen Effekt für eine Sehverbesserung der Augen erfüllte.
Die zwei Freunde, Martin und Manuel, deren Namen nur rein zufällig die selben zwei Anfangsbuchstaben hatten, saßen sehr eng beisammen. Viel zu eng für nicht im selben Haushalt lebende Personen.
"Wenn jetzt die Polizei vorbeikommt", sagte Martin scherzhaft.
"Ich sehe heuer extrem oft Polizeiautos durch den Park fahren. Also verschrei es lieber nicht", erwiderte Manuel.
"Ja, stimmt. Ist fast so, als wären zu wenig Abstand oder keine Maske die neuen Schwerverbrechen", philosophierte Martin. Obwohl man das wohl eher pseudophilosophieren nennen sollte. Aber vielleicht war ja gerade das etwas, das die Gesellschaft aus der Unterjochung des dräuenden Hygienestaats befreien konnte.
Ein hoffentlich nicht mit einem ansteckenden Virus infiziertes Eichhörnchen kam ihnen überraschend nahe. Martin warf ihm ein Stück der Semmel zu, die er in der Hand hielt. Das Tier ignorierte das Essens-Offert. Vielleicht lag es am Ketchup, das die Bedienung im Supermarkt reichlich in die Käseleberkäsesemmel gefüllt hatte. Wilde Tiere wussten oft instinktiv, was schlecht und was gut für sie war. Dieser Instinkt fehlte manchen Haustieren. Und noch viel mehr fehlte er vielen Menschen. Oder sie unterdrückten und ignorierten ihn einfach, wenn er ihnen in Form einer inneren Stimme zuflüsterte, nicht zu viel Fett und Süßigkeiten zu sich zu nehmen.
Apropos Haustiere. War der Mensch als Bewohner eines staatlichen Konstruktes, welches das Motto "Der Staat sind wir alle" schon lange nicht mehr lebte, nicht auch eine Art Haustier, seiner naturgegebenen Instinkte beraubt? Für viele war der Staat die Regierung, doch eigentlich sollte es eher so laufen wie bei einem Ameisenstaat. Alle Menschen zusammen waren der Staat, jeder mit individuellen Freiheiten und einem hohen Maß an Eigenverantwortung. Doch so, wie sich momentan alles entwickelte, gerierten sich die Regierenden als Beschützer vor allerlei künstlich aufgeblähten Gefahren und warfen mit immer mehr wirren und abstrusen Regeln und Verboten um sich. Trink- und Essverbote in Einkaufszentren waren da ein sehr gutes Beispiel. Wer konnte das noch nachvollziehen? Generelle Abstandspflicht und Maskenpflicht, selbst wenn man keinen Kontakt zu Menschen aus der Risikogruppe hatte. Testpflicht, selbst wenn man keine Symptome hatte. Manchmal waren die beiden heilfroh, dass sie noch Test-Jungfrauen waren. Mit etwas Glück blieb das solange so, bis dieser Unsinn ein Ende fand. Wenn zu viele mitmachten, bestand die Gefahr, dass gewisse Regelungen für immer blieben. Da sollte jeder einen Beitrag dazu leisten, dass das nicht passierte, indem er einfach nicht mitmachte. Auch wenn andere, denen die Gesamtsituation aus unerfindlichen Gründen logisch und nachvollziehbar erschien, sie dann als unsolidarisch, unvernünftig oder nicht kooperativ wahrnehmen würden. Da musste man durch.
In einem Moment, in dem sie sich unbeobachtet wähnten, umarmten die beiden sich für wenige Sekunden lang freundschaftlich. Doch wie die Zeiten es wollten, waren sie exakt in diesem Moment nicht unbeobachtet.
"Auseinander!", rief eine tiefe Stimme, die etwa zwei Meter entfernt zu sein schien.
War das etwa ein Blockwart aus der Zivilgesellschaft?
Manuel und Martin drehten sich um und erblickten einen etwa dreißigjährigen Mann mit schwarzen Haaren, blauen Jeans und durchschnittlicher Körpergröße. Er wirkte muskulös, aber hatte keine Polizeiuniform an. Also wohl tatsächlich ein übermotivierter Jäger der angeblichen Leugner Coronas.
Da zog er doch tatsächlich eine Polizeimarke aus der Hosentasche. War dieser vermeintliche Polizist etwa inkognito unterwegs? Oder war die Marke gefälscht? Leider schien sie echt zu sein. Verdammt.
Als Manuel und Martin, die beide ein paar Zentimeter größer waren als der Polizist in Zivilkleidung, keine Anstalten machten, der Aufforderung mit sofortiger Wirkung nachzukommen, hakte der schwarzhaarige Beamte nach: "Leben Sie im selben Haushalt?"
Bevor Martin ihn daran hindern konnte, antwortete Manuel wahrheitsgemäß: "Nein".
Martin ahnte augenrollend, was jetzt passieren würde. In der Tat geschah genau das. Der Polizist zog einen Zettel aus der Tasche, bei dem es sich nur um ein Organstrafmandat handeln konnte.
Hierbei ist anzumerken, dass es sehr selten vorkam, dass quasi sofort gestraft wurde. Normalerweise wurden immer zuerst Apelle an diejenigen, die vermeintlich strafbar handelten, gerichtet. Erst, wenn diese ungehört verhallten und keine Wirkung zeitigten, wurde tatsächlich eine Strafe fällig. Also hatten Martin und Manuel wohl das Pech, an einen jungen Mann geraten zu sein, der noch nicht die volle Souveränität der Ausübung seines Berufes erlangt hatte.
Gerade solche Begebenheiten sind wie Wasser auf die Mühlen Polizei-kritischer Menschen. Dank dieser Vorkommnisse verbreiteten sich Gerüchte über eine Polizei, die fürs Schmusen strafte, in Windeseile. Die Schmusepolizei oder oft auch Kuschelpolizei genannt, die das neue Schwerverbrechen des außerhaushaltlichen Schmusens oder Umarmens bestrafte.
Glücklicherweise war das in Österreich ein seltenes Ereignis. Öfter kam es da schon vor, dass ein außerordentlich freches Eichhörnchen eine FFP2-Maske stibitzte.
Im Grunde war es egal, ob Ausnahmezustand herrschte oder nicht. Den Menschen Regeln vorschreiben, die zum Teil offensichtlich widersinnig waren, war in keiner einzigen denkbaren Situation einer sogenannten Demokratie würdig. Dafür auch noch die Wissenschaft als Propagandainstrument wie ein Feigenblatt vor sich zu halten, um die eigenen schwachsinnigen Entscheidungen zu rechtfertigen, war die unterste politische Schublade. Vielleicht war ja genau das das große Problem: dass sich so etwas wie Politik oder Journalismus entwickelt hatte. Diese gesellschaftlichen Konstrukte gingen schon längst an sämtlicher Lebensrealität vorbei.
Tatsächlich verabschiedete sich der Polizeibeamte durchaus freundlich, obwohl er mit strengem Nachdruck die beiden Jungen aufforderte, sofort in einem der Situation angepassten Abstand voneinander zu verweilen. "Schönen Nachmittag noch", sagte er. "Wenn ich euch noch einmal erwische, dann wird die Geldstrafe richtig hoch."
In diesem Moment sahen sie zwar kein Eichhörnchen mit FFP2-Maske, aber eine Krähe mit selbigem Utensil. Vielleicht würde sie das Teil für ihr Nest verwenden? Wer konnte das schon wissen. Ob Stoffmasken dafür nicht die bessere Wahl wären? Leider war es den Bewohnern Österreichs nicht mehr erlaubt, die oft selbst genähten Stoffmasken zu tragen. Nein, es durfte nur eine einzige Art von Maske sein. Fast wie eine Schuluniform. Jeder, der sich nicht an die Kleidungsvorschriften hielt, war sofort als potentiell gefährlicher Querulant erkennbar.
Sie verabschiedeten sich so höflich wie möglich von dem bei zu geringem Abstand und Maskenlosigkeit auftauchenden Schmusepolizisten und machten sich gemeinsam auf den Weg zu einem etwas ruhigeren Ort. Vielleicht war ja ein Wald keine schlechte Idee, um einem Verbrechen der Neuzeit zu frönen und ohne Maske, Abstand und Infektionsangst ein unbeschwertes Treffen zu genießen.
Dies ist eine rein fiktionale Geschichte. Die Handlung und die agierenden Personen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit echten Menschen oder realen Lebenssituationen sind rein zufällig. Dieser Text erlaubt sich künstlerische Freiheiten, die in keinerlei Hinsicht eine realistische Abbildung des echten Lebens oder Handelns von Personen in konkreten Lebenslagen darstellen.
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